Im Vorschlag an die WTO, den Patentschutz für COVID-19-Impfstoffe auszusetzen, wird fälschlicherweise geistiges Eigentum als Barriere für einen schnellen Zugang zu Impfstoffen dargestellt. Diese Initiative adressiert die Krise nicht wirksam, sondern sendet ein extrem gefährliches Signal an Innovatoren und Investoren gleichermassen. Ein umfassender und zuverlässiger Schutz des geistigen Eigentums ist für wissenschaftsbasierte Innovationen unverzichtbar. Was vordergründig gut erscheint, birgt die Gefahr, dass unsere Fähigkeit, Innovationen im Gesundheitswesen zu fördern und zu finanzieren, erheblich geschwächt wird.
Die Geschwindigkeit, mit der COVID-19-Impfstoffe entwickelt wurden, wird in die Geschichte eingehen und als eine der grössten Errungenschaften von Wissenschaft und Biotechnologie gefeiert werden. In Rekordzeit haben Biotechnologieunternehmen mehr als 900 globale Projekte zur Entwicklung von COVID-Impfstoffen, -Behandlungen und -Diagnostika gestartet.
Parallel dazu haben öffentliche und private Akteure unermüdlich daran gearbeitet, die Produktionskapazitäten in Europa und weltweit zu steigern, um sicherzustellen, dass die neu entwickelten Diagnostika und Wirkstoffe so schnell wie möglich produziert und vertrieben werden kann. Die globale COVAX-Initiative wurde ins Leben gerufen, um Impfstoffe auf der ganzen Welt gerecht zu verteilen – auch an Menschen und Länder, die es sich nicht leisten können, die Impfstoffe zu Marktpreisen zu kaufen.
Dank dieser beispiellosen Anstrengungen und der beschleunigten globalen Zusammenarbeit wurden die Produktionskapazitäten deutlich erhöht und neue innovative Lieferketten in Rekordgeschwindigkeit bereitgestellt. Heute besteht die reale Aussicht, dass Impfstoffe für 70% der Weltbevölkerung bis Ende 2021 zur Verfügung stehen werden.
Entgegen der Ansicht mancher Berichterstatter ermöglichte genau das Regelwerk für geistiges Eigentum dieses noch nie dagewesene Innovationsniveau und die dringend benötigte Zusammenarbeit zwischen Biopharma-Innovatoren und Partnern. Dasselbe Schutzrechtssystem schuf die Voraussetzungen, um Fachwissen und Infrastrukturen aufzubauen, die notwendigen Ressourcen zu mobilisieren und das umfangreiche technische Wissen verfügbar zu machen, das zur Bekämpfung der Pandemie nötig ist und fortschrittlichen Technologien wie den mRNA-Impfstoffen zum Durchbruch verhalf.
Das aktuelle Regelwerk für geistiges Eigentum und Lizenzen ermöglicht einen effizienten und kontrollierten Know-how- und Technologietransfer.
Angesichts der enormen weltweiten Nachfrage haben alle Patent-Eigentümer von Covid-19-Impfstoffen ein entscheidendes Interesse daran, die Produktion auszubauen. Bei den globalen Anstrengungen zum schnellstmöglichen Kapazitätsausbau wurden bereits Produktionsverträge mit Entwicklungsländern im Rahmen von Technologie-Lizenzierungen abgeschlossen.
Eine Schwächung des Patentschutzes birgt das Risiko, die Produktion von Impfstoffen zu verlangsamen und die globale Koordinierung zu erschweren. Gleichzeitig hätte sie erhebliche negative Folgen:
Eine Erweiterung der Produktionskapazitäten ausserhalb des aktuellen Schutzrechts- und Lizenzierungsrahmens droht deutlich langsamer zu verlaufen. Ein unfreiwilliger Technologietransfer kann eine Welle von chaotischem Impfstoff-Nationalismus auslösen, indem einzelne Länder versuchen, kooperative globale Anstrengungen zu umgehen und nur national produzieren.
Angesichts der aktuellen Engpässe bei Impfstoff-Produktionsmitteln und Fertigungsspezialisten könnte der Verzicht auf Patentschutz sogar die Produktion bei den derzeit gesetzlich zugelassenen Impfstoff-Produktionsbetrieben verlangsamen.
Eine Schwächung der geistigen Eigentumsrechte würde eine sehr gefährliche Botschaft an diejenigen senden, die in den Aufbau von innovativen Technologien investiert und diesen enormen Erfolg ermöglicht haben. Dies nicht nur bei der Entwicklung neuer Impfstoffe, sondern in allen Bereichen von Forschung und Entwicklung. Das globale System rund um das geistige Eigentum wurde schliesslich dazu entwickelt, diese wichtige Innovationskraft zu schützen.
Langfristig schwächt der Vorschlag den Patentschutz für COVID-19-Impfstoffe auszusetzen, das bestehende Impfstoff-Ökosystem. Er verhindert nicht nur die Anreize für Biotechnologieunternehmen und ihre Partner, die Risiken eingehen, um Lösungen für den nächsten Gesundheitsnotstand und alle anderen medizinischen Bedürfnisse zu finden, sondern sendet auch die falschen Botschaften an Investoren, gerade dann, wenn ihre Unterstützung am meisten gebraucht wird.
Was also anfänglich gut klingt, erweist sich als unwirksam und sogar kontraproduktiv für die Impfstoffproduktion. Darüber hinaus würde ein enorm gefährlicher Präzedenzfall geschaffen, der das Vertrauen in die Rahmenbedingungen für geistiges Eigentum weltweit untergräbt. Ein Vertrauen, das entscheidend ist, wenn wir ein starkes Gesundheitssystem aufrechterhalten und uns die Fähigkeit erhalten wollen, auch die medizinischen Herausforderungen der Zukunft zu meistern.